![]() |
![]() |
Das Datum der ersten Losung steht fest: Am 3. Mai 1728 bei der abendlichen Versammlung in Herrnhut, verkündet Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700 - 1760) der Gemeinde ein kurzes Wort für den kommenden Tag. Mit dem Liedvers: "Liebe hat ihn hergetrieben, Liebe riß ihn von dem Thron, und wir sollten ihn nicht lieben?" beginnt die 270jährige, beispiellose Geschichte der Losungen.
Bald schon möchten die Herrnhuter auf die "Parole für den Tag" nicht mehr verzichten. Die Losungen werden zu einem wichtigen Kommunikationsmittel. Sie sind oft "fortgesetzte Gespräche des Heilands mit der Gemeinde", wie Zinzendorf es nennt. Er will, daß sie "ins Gemüt und ins Herz" hineingenommen werden.
1731 wird die erste gedruckte Losung herausgegeben. Seit diesem Jahr erscheinen die Losungen ohne Unterbrechung, Jahr für Jahr. Mit der Missionsarbeit, die 1732 beginnt, werden dann die Weichen für die weltweite Verbreitung der Losungen gestellt. Die äußere Gestalt wandelt sich in den 267 Jahren immer wieder. Auch inhaltlich gibt es besonders durch Zinzendorf häufige Veränderungen.
Nach Zinzendorfs Tod verändern sich die Losungen weiter. Heute haben sie für jeden Tag des Jahres je ein Bibelwort aus dem Alten und dem Neuen Testament sowie einen Liedvers oder ein Gebet.
Dabei wird die alttestamentliche "Losung" aus 1780 Bibelversen gelost. Danach werden der neutestamentliche "Lehrtext" und der "Drittext" thematisch passend zusammmengestellt.
Allein im deutschsprachigen Raum beträgt die Auflage jährlich über eine Million Exemplare,
"ein Bestseller, den man auf den Bestsellerlisten vergeblich suchen wird" (Zitat aus "Die Welt"),
dessen jährliche Auflage aber alle Bestseller weit in den Schatten stellt, wenn man sein kontinuierliches Erscheinen und seine internationale Verbreitung bedenkt.
Eine große, silberne, ovale Schale wird auf den Tisch gestellt. Es ist April oder Mai in Herrnhut. Vier Personen sind in dem barocken Sitzungszimmer des Vogtshofes versammelt.
Es ist ein besonderer Tag: Die Losungen für den ganzen Jahrgang, der in drei Jahren an der Reihe sein wird, werden gezogen.
Die Schale enthält mehr als 1000 numerierte Kärtchen. Die Gesamtzahl der Losnummern beträgt ca. 1800.
Doch die in den beiden vorhergehenden Jahren gezogenen Nummernkärtchen bleiben außen vor. Damit soll die Wiederholung einer Losung innerhalb von drei Jahrgängen vermieden werden.
Die Aufgaben der vier Personen sind festgelegt: eine zieht ein Kärtchen aus der Schale, eine andere sucht den dazugehörigen Text in den Karteikästen. Die beiden übrigen sind für die Abfassung des Protokolls zuständig.
Begonnen wird mit dem ersten Januar. Ein Tag nach dem anderen, Monat für Monat - am 18. April 2001 war es für das Jahr 2004 - wird nun gelost.
Damit steht jedoch nur ein Drittel der Tagestexte der deutschen Ausgabe fest. Die Losung wird jetzt von einem Theologen oder einer Theologin, zur Zeit ist es ein ordinierter Theologe, bearbeitet. Seine Aufgabe besteht darin, die alttestamentliche "Losung" mit zwei passenden Texten, - einem aus dem Neuen Testament, dem sogenannten "Lehrtext", und einem Liedvers oder Gebet - zu ergänzen. Diese verantwortungsvolle Aufgabe wird von einer ganzen Gruppe beratend begleitet.
Wenn die drei Texte für jeden Tag feststehen, ist die gemeinsame Aufgabe für die internationalen Ausgaben der Losungen abgeschlossen. Das bedeutet, daß alle Übersetzerinnen und Übersetzer - die Losungen erscheinen in 47 Sprachen der Welt - eine Kopie erhalten. Hier liegt auch der Hauptgrund für das Ziehen der Losungen drei Jahre im voraus. Viele Übersetzungen legen den englischen, amerikanischen oder niederländischen Text zugrunde.
Doch auch die Losungen unterliegen keinem ehernen Gesetz. In regelmäßigen Abständen werden die alttestamentlichen Sprüche von einem Ausschuß durchgesehen. Vorschläge für neue Losungen werden bearbeitet und bisher bekannte Texte herausgenommen, weil beispielsweise ihre Aussagekraft zu einseitig interpretierbar oder nicht mehr verständlich ist. Am Ziehen der Losungen aber hat sich nichts geändert.
Sie kann weder Deutsch noch Englisch, Dim, die Sekretärin des deutschen Mitarbeiters der Marburger Mission in Thailand. Doch mit den fremdsprachigen Abkürzungen der Bibel kommt sie zurecht. Sie schreibt Losung und Lehrtext in Thai, und 2002 kommt bereits der 22. Jahrgang in dieser Sprache heraus.
Thai ist eine der 47 Sprachen, in die die Losungen weltweit übersetzt werden. Kein zweites Andachtsbuch hat eine solche Verbreitung !
Das Übersetzen dürfte eigentlich nicht schwer sein, denn die Textstellen sind vorgegeben. Doch es sei auch bei den Losungen weitaus mehr, wie Anne Schlimm, die Übersetzerin ins Französische meint. "Es ist ein Über-Setzen im eigentlichen Wortsinn, ein Übersetzen mit einer Fähre von einem Flußufer zum anderen, von einer Mentalität zur anderen." Die meisten französischen Bibeln beispielsweise haben fortlaufende Texte, in denen die Verse nicht merklich voneinander getrennt sind. Die manchmal mühevolle Aufgabe der Übersetzerin ist es, die wichtigste Botschaft herauszufiltern. Französisch waren im übrigen die ersten fremdsprachigen Losungen, die 1741 herauskamen.
Etwa die Hälfte der 47 fremdsprachigen Losungen, die sich auf alle Kontinente verteilen, sind auf die Initiative von Einzelpersonen zurückzuführen. Sie kennen oder kannten von der Brüdergemeine oftmals nur die Losungen. Doch sie wollten das handliche kleine Büchlein mit den kurzen Bibeltexten nicht für sich behalten. Sie wollten es möglichst vielen in die Hand geben, für die die christliche Botschaft wichtig geworden ist. Aus den Einzelinitiativen ist daher eine Sache der christlichen Kirche oder Gemeinschaft vor Ort geworden, die für die Kontinuität sorgt.
Über die Bezugsquellen der fremdsprachigen Ausgaben gibt die Brüder-Unität
Herrnhut Auskunft.
Evangelische
Brüder-Unität,
Postfach 21
D-02745 Herrnhut,
Tel. 035873 / 487-0, Fax -99,
e-mail: info@ebu.de
Für Johannes
Rau, ehemaliger Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland,
sind die Herrnhuter Losungen "ein wichtiger Begleiter durch seinen
arbeitsreichenTag."
Doch auch Manfred
Stolpe, Ministerpräsident des Landes Brandenburg,
beginnt seinen Arbeitstag mit den Losungen, wie aus einem Spiegel-Interview
zu vernehmen war.
"Die
Losungen sind ein Geschenk und das seit Jahrhunderten."
So drückt es Rolf Hille, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen
Allianz, aus. "Sie sammeln die weltweite Gemeinde Tag für Tag
unter einem Bibelwort."
Paul Toaspern,
Pfarrer, jahrelang Leiter der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste
in der ehemaligen DDR und Verfasser von Drittexten in den Losungen, nennt
die Losungen
"etwas von dem Kostbarsten, was wir neben der Bibel besitzen".
Sie sind für ihn "seit Jahrzehnten ein unentbehrlicher Begleiter".
Ulrich
Parzany, Generalsekretär des CVJM-Gesamtverbandes in Deutschland,
kennt "neben der Bibel keine Veröffentlichung, die soviel für
den Zusammenhalt der Christen über Kirchengrenzen hinweg bewirkt, wie
die Losungen".
Sie könnten zwar die fortlaufende Bibellese nicht ersetzen, "aber
sie sind die appetitanregende Vorspeise, wie sie zu jedem großen Festessen
gehört".